Marija Gimbutas, Die Sprache der Göttin
„Die Göttin wurde allmählich in die Tiefen der Wälder oder auf die Gipfel der Berge zurückgedrängt, wo sie in den Vorstellungen der Menschen und Märchen bis heute fortlebt. Aus dieser Verdrängung rührt die Entfremdung der Menschen von den Wurzeln des irdischen Lebens, deren Folgen in der modernen Gesellschaft unübersehbar zutage treten. Doch der ewige Kreislauf der Natur setzt sich unaufhörlich fort, und wir erleben heute, dass die Göttin aus den Wäldern und von den Bergen zu uns zurückkehrt und, indem sie uns zu den ältesten Wurzeln der Menschheit zurückführt, unsere Hoffnung für die Zukunft aufleben lässt“.
Gerda Weiler, Matriarchatsforscherin
„Die Göttin ist Metapher für die Selbstverständlichkeit, aus der heraus die Frau frei über ihr Leben und ihren Körper verfügt, ihre Sexualität feiert, ihre Umwelt aktiv mitgestaltet und
mitwirkt, menschliche Kultur zu erschaffen, zu gestalten und zu verändern… Die Göttin beflügelt die Kreativität von Frauen. Sie macht uns Mut in die Öffentlichkeit hinein zu wirken und das
patriarchale Bewusstsein zu überwinden… Sie vertritt ein Weltbild, in dem die Beherrschung und die Unterdrückung von Frauen und Kindern durch den Mann oder die rücksichtslose Ausbeutung der
Natur geächtet sind… Das Weltbild der Göttin ist von höchster politischer Brisanz… Nur wenn die Göttin wieder ins Licht des Bewusstseins rückt, kann das Patriarchat, diese chronische
Krankheit der menschlichen Kultur, überwunden werden.“
(siehe dazu auch: http://www.gerda-weiler-stiftung.de und http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/gerda-weiler )
Heide Göttner-Abendroth:
Die Forschung brachte ein Grundmuster matriarchaler Mythologie ans Licht, das im gesamten Raum, der später indo-europäisiert wurde, existiert, d. h. in Indien, Persien, Ägypten, im gesamten Mittelmeerraum und in Europa. Es enthält die Struktur der Großen Göttin in ihrer dreifachen Gestalt als Mädchen-Frau-Greisin, welche die drei Zonen der Welt: Himmel-Erde-Unterwelt regiert. Sie hat überall die gleichbleibenden Funktionen der Lichtbringerin (Mädchengöttin), der Liebes- und Lebensbringerin (Frauengöttin) und der Bringerin von Tod und Wiedergeburt (Greisingöttin). Ihr sind in ihren drei Gestalten bestimmte irdische und kosmische Symbole, bestimmte heilige Tiere und magische Gegenstände zugeordnet, wie z. B. Pfeil und Bogen aus Silber der Mädchengöttin, der rote Liebesapfel der Frauengöttin, Spindel und Schicksalsfaden der Greisingöttin.
Patricia Monaghan, Lexikon der Göttinnen, S 7 f.
Mythenforscher, die Bearbeiter mythischer Überlieferungen und die Herausgeber von Mythensammlungen wenden drei verschiedene Taktiken an, um Wissen über Göttinnen zurückzuhalten. Als erstes
ignorieren sie sie einfach. Das ist am einfachsten. Wenn man in den angeblich „umfassenden“ Lexiken der Mythologie liest, gewinnt man den Eindruck, dass die Gottheiten aller Kulturen zum
größten Teil männlich waren …
Als zweites versäumen es die Experten der Mythologie, die Göttinnen beim Namen zu nennen …
Eine raffinierte Form dieser Namensverneinung besteht darin, die Göttin, Halbgöttin oder matriarchalische Heldin als „Tochter des Mondgottes“ oder „Potiphars Weib“ zu deklarieren …
Drittens bauen viele Autoren ihre Werke so auf, dass deutlich die Götter im Mittelpunkt stehen. Zunächst werden auf breitem Raum die Mythen um die einzelnen Götter erzählt, dann die ihnen
„zugeordneten“ Göttinnen in einem einzigen Nachsatz nachgereicht.
Luisa Francia, Eine Göttin für jeden Tag, S 22
Der Begriff Göttinnen umfasst für mich Frauen, die irgendwann einmal gelebt haben oder belebt wurden, die verehrt wurden, als Vorbilder galten – lebendige weibliche Energien, die sich manifestieren in realen Frauen, in Ahninnen, in Legenden- und Sagengestalten, in der Literatur. Frauengestalten, die vielleicht oder religiös überhöht wurden, Frauen, die wir lieben und von denen wir lernen.
Luisa Francia - salamandra.de am 20. 4. 2017
Warum ist die „göttin“ politisch?
Weil sie der monotheistischen einfalt die facettenreiche vielfalt weiblicher erscheinung
entgegensetzt. Göttinnen zeigen weltweit wie unterschiedlich, wie gegensätzlich weibliche kraft sein kann. Damit bewegen wir uns vom weiblichkeitsklischee der europäisch/amerikanischen kultur
weit fort.
Barbara G. Walker, Das geheime Wissen der Frauen, S. 322
Nur wenige Wörter verraten so viel über die Vorurteile der westlichen Kulturen gegen die Geschlechter wie das Wort Göttin im Vergleich zu Gott. Die modernen Bedeutungen des Wortes unterscheiden sich völlig von denen anderer Völker, für die die Große Göttin eine völlig eigenständige, in Würde auftretende Elternfigur war. Sie schuf das Universum mit seinen Gesetzen, und sie gebot über Natur, Schicksal, Zeit, Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe, Geburt, Tod usw.
Marija Gimbutas, Die Sprache der Göttin
Die Religion der Göttin existierte sehr lange Zeit, weit länger als die indogermanische oder die christliche (die eine relativ kurze Periode der Menschheitsgeschichte repräsentieren), und sie drückte den Menschen in Europa ihren unauslöschlichen Stempel auf.
Erich Neumann, Die Große Mutter, S. 99
Mit den auch historisch ältesten Darstellungen der Großen Mutter als Steinzeitgöttin taucht der Archetyp des Großen Weiblichen mit einem Male und in überwältigender Ganzheit und Vollkommenheit in der Welt der Menschen auf. Diese Figuren der Großen Göttin sind, abgesehen von den Höhlenmalereien, die ältesten Kultwerke und Kunstwerke der Menschheit, die wir kennen.
Starhawk, Der Hexenkult, S. 21
Das ursprüngliche Symbol für das „Unsagbare“ ist die Göttin. Die Göttin hat unendliche Eigenschaften und Tausende von Namen – Sie ist die Wirklichkeit hinter vielen Methaphern. Sie ist Wirklichkeit, die offenbarte Gottheit, allgegenwärtig in allem Lebendigen, in jedem Menschen. Die Göttin ist nicht von der Welt getrennt – Sie ist die Welt, und sie ist alles in ihr: Mond, Sonne, Erde, Sterne, Steine, Samen, fließender Strom, Wind, Welle, Blatt und Ast, Knospe und Blüte, Reißzahn und Klaue, Frau und Mann.
Starhawk, Der Hexenkult. S. 23
Die Bedeutung des Göttin-Symbols für die Frauen kann nicht genug betont werden. Das Bild der Göttin inspiriert uns Frauen, uns selbst als göttlich, unsere Körper als geweiht, die wechselnden Phasen unseres Lebens als heilig, unsere Aggression als gesund, unseren Zorn als reinigend und unsere Macht, zu stillen und zu gebären, aber notfalls auch zu begrenzen und zu zerstören, als die eigentliche Kraft zu betrachten, die alles Leben erhält. Durch die Göttin können wir unsere Stärke entdecken, unseren Geist erleuchten, unseren Körper uns zu eigen machen und unsere Gefühle annehmen. Wir können aus unseren engen, einengenden Rollen ausbrechen und wir selbst werden.
E. O. James, The ancient Gods, S. 250
Mehr und mehr beweist die Archäologie, dass es in der Tat wirklich ein Goldenes Zeitalter gab, eine gynaikokratische Epoche, die unzählige Jahrtausende andauerte, bis über die Dämmerung der
geschriebenen Geschichte herauf. […] Der Mann war friedfertig, die Gottheit weiblich und die Frau überragend. Frieden und Gerechtigkeit herrschten unter einer allbarmherzigen Göttin, und die
langen Kleider der Priesterinnen sind bis zum heutigen Tag das Gewand der männlichen Priester, die später folgten.
Der Monotheismus, von dem man einst glaubte, Moses oder Echnaton habe ihn erfunden, war in der Vor- und Frühgeschichte weit verbreitet. Es scheint, Evans hatte recht, wenn er behauptete, dass
es ein Monotheismus war, in dem die „weibliche Form der Göttin vorherrschte“.
Johann Wolfgang von Goethe
Es ist keine Kunst, eine Göttin zur Hexe, eine Jungfrau zur Hure zu machen; aber zur umgekehrten Operation, Würde zu geben dem Verschmähten, wünschenswert zu machen das Verworfene, dazu gehört entweder Kunst oder Charakter.